Selfie-Sucht: Spagat zwischen Alltagskunst und Abhängigkeiten
Jeder kennt es, nur mal schnell ein Selfie zur Erinnerung schießen und dann mit den Freunden teilen. Bekomme ich Likes? Heutzutage ist dies alltäglich, aber gibt es auch ein "zu viel"? Erste Forschungsansätze über "Selfitis" gibt es aus England und Indien.
Ein fester Bestandteil des Alltags der jungen Generation sind die Aktivitäten auf den Social-Media-Plattformen wie beispielsweise TikTok und Instagram. Besonders die Anzahl der Follower und deren Kommentare und Likes stehen mehr und mehr im Mittelpunkt. Hierbei wirken auch die Influencer als Vorbild, die viele Follower haben, ihr Geld mit den Kanälen verdienen und ihre Follower, oft durch Selfies, an ihrem scheinbar perfekten Leben teilhaben lassen. Für viele junge Menschen verschiebt sich der Mittelpunkt eines normalen Alltags nach und nach in den digitalen Bereich. Ein Trend, der durch die Corona-Pandemie nochmals verstärkt wurde, wie diverse Studien belegen konnten. Durch die Kontaktbeschränkungen in den letzten zwei Jahren war besonders das Smartphone fast die einzige Möglichkeit in Kontakt zu bleiben und andere am persönlichen Leben teilhaben zu lassen. Selfies spielen dabei eine große Rolle.
Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e.V. sagt: "Es ist fast immer eine Gratwanderung: Zwischen dem Spaß am Fotografieren mit einer gekonnten Selbstdarstellung auf der einen und dem Feedback auf der anderen Seite kann schnell ein Sog entstehen. Es geht dann knallhart um einen Wettbewerb um Likes und Anerkennung."
Perfekte Alltagskunst
Selfies haben in den letzten Jahren einen Siegeszug quer durch das digitale Leben angetreten. Vor 15 Jahren noch relativ selten genutzt, stieg die Anzahl an geposteten Selfies kontinuierlich an. Nach Untersuchungen von Google werden pro Tag mehr als 93 Millionen Selfies gemacht und pro Jahr allein auf Google-Servern über 24 Milliarden Selfies hochgeladen. Doch ist das Selfie noch das schnelle Selbstportrait, das zur Erinnerung an einen schönen Moment aufgenommen wird? Nein, denn vielmehr wird das Selfie nun für die Follower-Gemeinde aufgenommen und man wartet gespannt auf Likes und fürchtet sich vor Kritik in den Kommentaren.
Die Technik rund ums Selfie
Folglich wird versucht, ein immer besseres, ein perfekt-schönes Selfie aufzunehmen: Es wird kreativ durchdacht, geplant, konstruiert, mehrfach aufgenommen und zeitaufwändig bearbeitet, um letztendlich wie ein perfekter Schnappschuss zu wirken. Dass Selfies, so perfekt in Szene gesetzt, einen immer größeren Stellenwert haben, zeigen beispielsweise die seit Jahren massiven Absatzzahlen an Selfiezubehör, wie Selfie-Sticks und Ringlichter zur ebenmäßigen Ausleuchtung. Hier hat sich aus dem ehemaligen Nischenmarkt mittlerweile ein Massenmarkt mit immer raffinierterer Technik für die Selbstinszenierung entwickelt.
Die Schattenseiten der Selbstdarstellung
Wie wichtig vielen Menschen die Meinung von anderen ist, belegen Zahlen von Statista, dem Statistik-Portal: Unter den Top 5 der Gründe für Schönheits-OPs wird die Veränderung des eigenen Erscheinungsbildes für Selfies angegeben.
Die Jagd nach dem besonderen Selfie kann aber auch riskant oder tödlich werden. Zunehmend wird vom Tod junger Influencer berichtet, die bei der Aufnahme von Selfies bei waghalsigen Aktionen ihr Leben verloren haben. Zwischen 2011 bis 2014 wurden weltweit 259 Todesfälle durch Selfies verzeichnet, fünffach so viele Todesfälle wie im gleichen Zeitraum durch Haiangriffe geschehen sind. In Indien sind hierbei die meisten Todesfälle passiert, so dass mittlerweile an bestimmten Stellen Selfie-Verbotszonen eingerichtet worden sind.
Als weiteres Extrembeispiel berichtete der Daily Mirror von einem jungen Mann, der bis zu 200 Aufnahmen und bis zu 10 Stunden am Tag für das perfekte Selfie aufwendete. Durch sein süchtiges Verhalten verlor er seine Freunde, brach seine Ausbildung ab, riskierte seine Gesundheit und unternahm einen Selbstmordversuch.
Erste Forschungsansätze zur Selfie-Sucht
Die Sucht nach Selfies ("Selfitis") ist bis jetzt noch nicht als klassische Sucht anerkannt, gelangt aber zunehmend in das Bewusstsein der Bevölkerung und in den Fokus der Forschung. Ein Team um Prof. Dr. Mark Griffiths, Nottingham Trent University, hat sich eindringlich mit dem Thema Selfies beschäftigt und Studien in England und Indien durchgeführt. Eine Studie hat als Hauptmotivationen unter anderem den Wettbewerb um Likes, das Verlangen nach Aufmerksamkeit in der digitalen Welt, die Suche nach mehr Selbstsicherheit und Gruppenzwang festgestellt.
Klare Kriterien, ab wann man von einer Selfie-Sucht sprechen kann, fehlen derzeit noch. Jedoch kann man sich an den Warnsignalen des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) orientieren. Hinweise auf eine übermäßige Social-Media-Nutzung können beispielsweise ein erhöhter Zeitaufwand sein, den der Betroffene investiert. Andere Kontakte und Freizeitaktivitäten werden dabei vernachlässigt. Oft ist eine Verschiebung der Tagesstruktur in die Nacht zu beobachten, wobei andere Aufgaben und Verpflichtungen tagsüber vernachlässigt werden. Bei fehlendem Zugang zu Medien wirken Betroffene gereizt, wütend oder depressiv und haben dabei Probleme, den eigenen Internetgebrauch realistisch einzuschätzen. Hinweise kommen oftmals auch von außen, wie der Familie und Freunden. Die betroffenen Personen selbst verheimlichen das Ausmaß und streiten meist die Verhaltensauffälligkeiten ab.
Vorsorgemöglichkeiten nutzen
Wichtig ist, dass die betroffenen Personen zügig Hilfe bekommen. Neben den allgemeinen Anlaufstationen für Suchthilfe können auch Jugend- oder Hausärzte Ansprechpartner sein. Eine Früherkennung hilft hier konkret weiter, denn im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen können Auffälligkeiten besprochen und weitere Schritte eingeleitet werden. Besonders die J1-Untersuchung zwischen 12-14 Jahren bietet die Möglichkeit, schon frühzeitig eine erhöhte Mediennutzung anzusprechen. Diese Untersuchung übernimmt die Innovationskasse vollständig. Für Jugendliche sind hierbei zusätzlich 60 Euro als Bonus jährlich möglich! Beim Check-Up zwischen 18 und 34 Jahren können neben gesundheitlichen Problemen auch Auffälligkeiten in Bezug auf eine Selfie-Sucht besprochen und Präventions- und Behandlungstipps begeben werden. Auch diese Untersuchung wird von der IK übernommen.
Weitere Anlaufstellen: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Deutsches Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (UKE) oder regionale Anlaufstellen für
#diagnosenorddeutsch: aktuelle Gesundheitsthemen
Im Rahmen von #diagnosenorddeutsch behandelt die IK Gesundheitsthemen, die für alle wichtig sind und geben Tipps, die im Alltag einfach umzusetzen sind.
Fotohinweis: © olly18 PantherMedia.net
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